Manualtherapie und manuelle Medizin
Auf den ersten Blick spricht man über dasselbe; Hand anlegen als Hauptmittel, um einem Patienten zu helfen. Auf den zweiten Blick werden die Unterschiede deutlicher: heutzutage wird nicht selten ‚eine Serie manueller Therapie‚ verordnet, meist im sechser- oder zwölfer- Pack. Bei diesem Ansatz ist es nicht falsch, an Physiotherapie zu denken, d.h. das Üben und Lernen von Bewegungsmustern und Haltungstechniken. Eine ehrenwerte – und mühsame – Beschäftigung, wie jeder weiß, der eigene motorische Muster neu lernen will.
Dem gegenüber steht die Manualmedizin, die bestimmte motorische Störungen zu beseitigen sucht, die zentral Abläufe stören. Während die manuelle Therapie meist erst durch Wiederholung und Einüben wirksam wird, ist die Manualmedizin (zumindest, wie ich sie verstehe) eine sparsam angewandte Technik. Jahrelange Erfahrung hat gezeigt, daß sie nicht beliebig oft wiederholt werden kann. Im Gegenteil: nicht selten ist es so, daß unkritisches Wiederholen einer nicht effizienten Behandlung eher zu Verschlechterung führt. „Viel hilft viel!“ ist eben auch hier kein gutes Motto. Je sparsamer und präziser man die Manualmedizin einsetzt, desto effizienter ist sie in der Regel.
Das ist auch der Grund, warum man so etwas nicht ‚eben mal‘ lernen kann; wie beim musizieren (oder eigentlich jedem Handwerk) muß man viel üben, bis es rund läuft. Ich will nicht verschweigen, daß das am Berufsanfang abschreckend ist. Man kann keine Gebrauchsanweisung durchlesen und unmittelbar danach loslegen. Aber kaum einer hat ja die Idee, daß man mit einem Mal Violine in die Hand nehmen schon spielt wie Anne-Sophie Mutter oder Isaac Stern.
Bei der jungen Dame im Bild oben sieht man links die Situation zu Anfang. Als ‚gekröntes Haupt‘ im Kindergaren schaut sie nicht gerade energisch und fröhlich auf uns. In der Mitte ein Röntgenbild ihrer HWS mit angespannter Situation und Hinweisen auf Kopfgelenkprobleme. Rechts dann Dieselbe einige Wochen nach Therapie bei Kontrolltermin, deutlich energischer, fröhlicher und offener in die Welt schauend.
Es ist nicht mehr so richtig Mode, darauf hinzuweisen, daß ein Handwerk zu seiner Erlernung Zeit braucht und letztlich auch ein ‚Händchen‘. Man kann sich gerne einen Steinway ins Wohnzimmer stellen, kann damit aber bei Weitem nicht adäquat damit umgehen. Und deshalb ist es auch wichtig, zwischen Manualtherapie und Manualmedizin sauber zu unterscheiden. Beide sind wichtig und nützlich und es liegt auf der Hand, daß sie sich ergänzen. Aber man muß auch die Unterschiede offen ansprechen. Ein Physiotherapeut, eine Osteopathin haben nicht alle Grundlagen zu ihrer Verfügung, die einem Manualmediziner, der definitionsgemäß Arzt/Ärztin ist, zur Verfügung stehen. Es gibt breite Überlappungen dieser beiden Arbeitsgebiete, aber auch deutliche Unterschiede in Anwendung und Ziel. Wenn alle Beteiligten die Arbeit der Anderen wertschätzen, kann man toll zusammenarbeiten.
Um es noch mal auf den Punkt zu bringen: Manualtherapie ist fast immer wiederholend und einübend, Manualmedizin im engeren Sinne geht nur selten (und oft auf Basis einer Röntgenanalyse oder anderer diagnostischer Hilfsmittel) an ein gegebenes Problem heran. Manualtherapie braucht in der Regel Wiederholung, Re-Edukation von Haltung und Motorik. Manualmedizin wirkt in größeren zeitlichen Abständen ein, und ist in den Regel ohne aktive Kooperation der Patienten durchgeführt.