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H. Biedermann
Literaturliste & Kongreßbeiträge (Auswahl)

Geschlechtsspezifisches frühkindliches Verhalten

Simone de Beauvoirs zentrales Zitat: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“ ist in seiner Basis sicher richtig. Ansehen, Verhalten und Gesellschaftsposition der Frauen sind im Wesentlichen sozial determiniert, aber eben nicht zu 100%. Ein biologischer ‚Bodensatz‘ ist nachweisbar, sollte aber nicht als Ausrede zum Festschreiben dieser Rollen verwendet werden.

Man kann sich bei Human-Versuchen sicher darüber unterhalten, inwieweit hier unbewußte Einflüsse von Eltern oder Versuchsleiter eine Rolle spielen, bei Kapuzineräffchen wird es schon schwieriger. Man könnte gegen den Versuchsaufbau einwenden, daß die Adresse der Uni (G. Alexander, A&M Uni Texas) nicht gerade als Hort der Emanzipation bekannt ist, ebenso wie man z.B. auch bei Arbeiten über die gute Wirkung von Rotwein ‚die Adresse mitdenkt‘, wenn sie aus Bordeaux kommt. Andererseits ist M. Hines (damals London, jetzt Cambridge) da schon eher ‚aus dem Schneider‘.

Sie hatten schon 2002 entsprechende Arbeiten veröffentlicht, Jetzt weist ein „Zeit“- Artikel (02/2023) auf neuere Veröffentlichungen hin. Zurecht wird auch in diesem Artikel betont, wie sehr Nachahmung und die Einflüsse der Gruppe die Entwicklung diesen Verhaltens beeinflussen. Bei Babys ist dies aber wohl eher gering.

Auch andere Autoren haben sich – z.T. im Rahmen anthropologischer Studien – mit dem geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Verhalten schon jüngster Kinder beschäftigt und relativ konstant Ähnliches gefunden. Man könne nun argumentieren, dies sei von eher akademischem Interesse. Andererseits beeinflussen diese relativ zuverlässig auftretenden Verhaltensweisen unser tägliches Arbeiten. Man ist gut beraten, sich auf sie einzustellen. Und es ist dabei letztlich unerheblich, ob dies biologisch konditioniert oder sozial ‚erlernt‘ ist. Macht man großartige Aussagen über die Verhaltensmuster kleiner Kinder, sollte man immer im Hinterkopf haben, welche sonstigen wichtigen Parameter hier eine Rolle spielen. Soziale Herkunft, ethnischer Hintergrund der Familie spielen eine wichtige Rolle.

Trotzdem gelten m.E. einige Basisannahmen, die im Akutfall oft weiterhelfen. Jeder, der mit Kleinkindern zu tun hat weiß, daß Mädels in der Regel weiter vorn sind. Sie sind schneller in der Entwicklung, z.B. bei ins Auge fallenden Entwicklungsschritten wie Laufen oder Sprechen lernen. Wir sagen oft: „Wenn ein Junge mit 18 Monaten nicht läuft, sind wir nicht übermäßig in Sorge, ist es ein Mädel, wird man schon aufmerksamer„. Wenn ein Junge mit zweieinhalb Jahren noch sehr ‚maulfaul‘ ist – kein Problem. Ist es ein Mädel, wird man schon alerter.

Auch im Verhalten schlägt sich das in der Regel nieder: Mädels sind viel ‚cooler‘, d.h. schon eine gerade mal einjährige kleine Prinzessin weiß sehr gut, wie sie ihr Publikum bespielen muß. Vorher ist kein großer Unterschied zwischen den beiden ‚Babysorten‘; erst ein 12-18 Monate altes Mädchen ist deutlich anders als ein gleichaltriger Junge.

Wie gesagt – cooler; wenn die Eltern dadurch mitmachen, daß sie gar nichts machen und nur gelassen sitzend (Körpersprache!) zuschauen, wird die kleine Patientin relativ schnell auch in den ‚Business Mode‘ kommen und kooperieren. Eltern, die aus dem Off versuchen, allein durch Worte („Du mußt doch keine Angst haben„) zu beruhigen, erreichen meist genau das Gegenteil, v.a. bei Mädels. Die hören a) nur „Angst“ und registrieren b) daß sie mit ihrem Auftritt doch etwas erreicht haben; also weitermachen! Jungs kann man manchmal noch um den Finger wickeln, z.B. indem man ein – sich bewegendes – Spielzeug zeigt. Bei Mädels lohnt sich meist nicht mal ein Versuch. Wenn die sich’s mal in den Kopf gesetzt haben, in den Krisenmodus zu gehen, dann bleiben sie dabei.

Deshalb ist es so enorm wichtig, dies zumindest in groben Zügen mit den Eltern zu klären – wenn dies auch keine Garantie ist, daß diese sich nachher an das vereinbarte Verhalten halten (ruhig zusehen und schweigend machen lassen). Überhaupt ist das ’sich-Zeit-lassen‘ die Grundbedingung bei der Behandlung von Kindern. Was Pädiatern selbstverständlich ist, ist für eher orthopädisch Tätige eine Lern-Hürde. Das Arbeiten mit 3-5 Kabinen, in denen der ausgezogene Patient auf den hereinstürmenden Doktor wartet, schafft eher ungünstige Ausgangsbedingungen – bei Mädels noch viel mehr als bei Jungs.

Man könnte den Faden weiter führen bis zu den männlichen Ärzten, die in der Regel nicht das fast spontane Zugehen auf die Kinder haben, das man oft bei Ärztinnen findet, aber das würde den Rahmen dieses Textes sprengen….

Es ist allemal ein faszinierendes und lehrreiches Arbeiten mit diesen zwei verschiedenen ‚Kindersorten‘ – und der ‚erwachsenen‘ Variante ;-).

 

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